Wenn Katzen dabei erwischt werden, wie sie sich gegenseitig lecken, kann das verschiedene Reaktionen hervorrufen – manche von uns finden es süß, andere eher weniger. Aber was hat es damit auf sich? Wieso behandeln sich Katzen gegenseitig wie frische Sardinen und pflegen nicht nur einander, sondern auch uns Menschen?
Katzen sind sehr reinlich. Zwischen 30 und 50 Prozent des Tages verbringen sie damit, Fellpflege zu betreiben. Ihre Sauberkeit haben sie dabei ihrer besonderen Zunge zu verdanken. Diese mögen sich zwar rau wie Sandpapier anfühlen, haben aber ganz andere Eigenschaften: Die kleinen Widerhaken, auch Papillen genannt, haben eine hohle Spitze und erinnern an eine Bürste. Beeindruckend, oder?
Das gegenseitige Pflegen (aber auch das Pflegen ihrer Mitmenschen) dient dabei einer Reihe unterschiedlicher Zwecke. Sie tun dies, um zu kommunizieren und Zuneigung zu zeigen – und manchmal auch aus Überlebensinstinkt. Dieses gemeinschaftliche Pflegeverhalten wird auch als „Allogrooming“ bezeichnet. Im Folgenden erfährst du, wieso deine Katze Fremdputzen bei ihren pelzigen Hausgenossen betreibt – oder eben auch nicht.
1. Katzen pflegen einander, um Zuneigung zu zeigen
„Katzen drücken ihre Bindung zu anderen bevorzugten Katzen durch Allogrooming aus“, so Steve Dale, CABC, Tierverhaltensberater, Sprecher und Autor von Good Cat! Die Betonung liegt dabei auf „bevorzugte“ Katzen – das Allogrooming findet nicht unter beliebigen Katzen statt.„Es muss sich um Tiere handeln, die eine Beziehung zueinander haben – eine besondere Beziehung“, so Dale. In Kolonien von Freigängerkatzen ist diese Beziehung in der Regel engen Familienmitgliedern vorbehalten. Wurfgeschwister und Mütter mit ihren Jungtieren können etwa über diese Bindung verfügen. Auch Katzen, die über einen längeren Zeitraum zusammen sind (typischerweise Jahre, nicht Monate), können diesen Grad der Verbundenheit zeigen.
Wenn deine Katze von einer anderen Katze gebadet wird, ist das ein Anzeichen für eine enge Bindung, so Andrea Arden, Expertin für Haustiertraining. „Wenn zwei oder mehr Katzen sich nahe beieinander aufhalten, deutet das darauf hin, dass sie sich in der Gesellschaft des anderen Tiers wohlfühlen und davon profitieren.“
2. Überlebensinstinkte: Saubere Katzen leben länger
Die Bindung ist nicht der einzige Grund, warum sich Katzen gegenseitig pflegen – zumindest in Freigängerkolonien. Allogrooming ist überlebenswichtig und hilft bei der Entfernung von Flöhen, Zecken und anderen lebensbedrohlichen Parasiten.
Hauskatzen betreiben Allogrooming womöglich aufgrund ihres Überlebensinstinkts. Dieses Verhalten ist allerdings nur sehr leicht ausgeprägt – insbesondere dann, wenn deine Katze regelmäßig mit Flohschutzmitteln behandelt wird. Laut Dale sei der wahrscheinlichere Grund für Allogrooming bei Hauskatzen, dass es sich um ein „soziales Verhalten und ein Mittel handelt, um gegenseitiges Vertrauen zu kommunizieren.“
3. Allogrooming hilft beim Pflegen unerreichbarer Stellen
„Katzen mögen es nicht, schmutzig zu sein“, sagt Dale. Ein vertrauter Katzenfreund kann schwer zugängliche Stellen wie die Oberseite des Kopfes reinigen.
Und so wie Katzen es lieben, auf dem Kopf, an den Wangen und unter dem Kinn gekrault zu werden, genießen sie es auch besonders, sich von ihren engsten Gefährten an diesen Stellen streicheln zu lassen. Katzen lecken sich gegenseitig den Kopf und an anderen Stellen im Gesicht, weil sich dort Drüsen befinden, die Pheromone, also Duftstoffe abgeben.
„Diese Pheromone sind Chemikalien, die Informationen für die Kommunikation mit anderen Katzen liefern. Das ist einer der Gründe, warum Allogrooming zum Großteil in diesen Körperregionen stattfindet“, erläutert Arden.
4. Katzenmütter pflegen ihre Kätzchen
Das mütterliche Allogrooming ist eine der ersten Erfahrungen im Leben eines neugeborenen Kätzchens. Die Katzenmama säubert ihre Jungen sofort nach der Geburt, indem sie Fellpflege betreibt und für Ordnung und Sauberkeit sorgt. Dabei wird auch die Ausscheidung angeregt.
Während sich die Kätzchen entwickeln und lernen, ihre Notdurft alleine zu verrichten, setzt die Mutter das Allogrooming-Verhalten fort. „Während die Hygiene einer der Hauptgründe dafür ist, dass Mutterkatzen ihre Kätzchen ablecken, dient das mütterliche Allogrooming auch dazu, die Bindung zu fördern und Trost zu spenden. Und sie bringen ihnen bei, sich selbst zu pflegen“, sagt Arden.
5. Anzeichen für Gesundheitsprobleme
Laut Dr. Louis DelGiudice, DVM, National Emergency Specialty Director bei AmeriVet Veterinary Partners, könnte eine Katze, die sich übermäßig leckt, an einer Hautentzündung oder Juckreiz leiden. Häufige Ursachen sind Parasiten wie Flöhe oder ein Lebensmittel- oder Kontaktallergien.
„Viele Katzen bauen eine enge Bindung zu ihren felinen Mitbewohnern auf und können sich sehr gut in deren emotionalen und körperlichen Zustand hineinversetzen“, schildert Arden. Unabhängig davon, ob sich deine Katze exzessiv pflegt oder nicht, könnten andere Katzen im Haus die Veränderung ihres Gesundheitszustandes bemerken. „Andere Katzen verbringen womöglich mehr Zeit in ihrer Nähe und pflegen sie häufiger.“
Laut dem Young-Williams Animal Center stimmt es nicht, dass der Speichel einer Katze heilende Kräfte hätte. Entgegen der gängigen Meinung ist das Maul einer Katze voller schädlicher Bakterien (wie alle Münder!), die Infektionen verursachen können. Außerdem können die kammartigen Haare auf der Zunge einer Katze eine heilende Wunde leicht wieder aufreißen. Halte also deine Katze oder andere Katzen davon ab, Wunden zu lecken.
„Es ist wichtig, das Grundverhalten unserer Katzen zu beobachten, um Verhaltensänderungen erkennen zu können. Dies ist ein wichtiger Faktor bei der Identifizierung möglicher Gesundheitsprobleme, die einen Besuch beim Tierarzt erforderlich machen“, so Arden weiter.
6. Umleitung von Aggressionen
„Katzen sind nun einmal Katzen und dominieren Menschen“, scherzt Dale. „Wenn Katzen jedoch Allogrooming-Verhalten bei ihren Besitzern zeigen, drücken sie damit nicht Dominanz aus.“ Wenn du wie ich in einem Mehrkatzenhaushalt lebst, ist dir vielleicht schon einmal aufgefallen, dass eine Katze immer eine andere ableckt. Ist das auf ein Dominanzverhalten zurückzuführen?
„Beziehungen zwischen Katzen sind sehr komplex“, so Dale. „Es kommt auf den Kontext an.“
Einige sichere Anzeichen dafür, dass dein Rudel mit hierarchischer Dominanz kämpft, sind echte Aggression, das Markieren von Territorien und das Verhindern anderer Katzen, an den Futternapf zu gelangen. Es könne durchaus sein, dass Allogrooming den Zweck erfüllen soll, eine Hierarchie zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, fügt Arden weiter hinzu. Es sei jedoch wahrscheinlicher, dass diese Katzen ernsthaftere Konflikte vermeiden möchten. Allogrooming ist hier ein gutes Mittel zum Zweck. Konkret sieht dieses Verhalten so aus:
„Eine Katze könnte eine andere Katze lecken, die in der Hierarchie niedriger steht, um einander zu beruhigen. Neben der Milderung von Aggression stellt das Allogrooming möglicherweise auch einen Moment der Bindung dar“, erklärt sie. „Das bedeutet jedoch nicht, dass eine rangniedrigere Katze immer diejenige ist, die gepflegt wird.“ Beziehungen zwischen Katzen sind wie gesagt komplex, und eine einzelne Interaktion gibt keinen eindeutigen Aufschluss über das allgemeine Sozialleben deiner Katzen.
Warum lecken meine Katzen einander und kämpfen dann?
Auf echtes Allogrooming folgt keine echte Aggression oder ein echter Kampf, so Dale. Es ist eher wie eine Umarmung, die etwas zu lange dauert, erläutert Arden.
„Katzen haben zu einem gewissen Zeitpunkt genug davon, von uns gestreichelt zu werden. Das könnte auch bei der Fellpflege der Fall sein“, so Dale. Katzen sind üblicherweise gut darin, die Körpersprache anderer Katzen zu lesen. Werden Signale der Reizüberflutung jedoch übersehen, könnte dies zu einem Anstieg der Spannung führen.
Anzeichen einer Überstimulation bei Katzen umfassen:
- nach hinten gerichtete Ohren
- eine geduckte, straffe Körperhaltung
- ein zuckender Schwanz
- Fauchen
- Wegschlagen mit Pfote
- Beißen/Knabbern
- Erweiterte Pupillen
Allogrooming kann auch eine Überleitung zu einem spielerischen Kampf darstellen, fügt Arden hinzu. „Beim Spielen werden die Verhaltensweisen vom Kämpfen oder Jagen nachgeahmt. Es ist also wichtig, die Eigenheiten des eigenen Haustiers kennenzulernen.“
Was ist der Unterschied zwischen spielerischem und echtem Kampf?
Laut Dr. Kat Pankratz, DVM, DACVB, einer Veterinär-Verhaltensforscherin an der Animal Behavior Clinic in Portland, Oregon, ist das spielerische Kämpfen bei Katzen in der Regel ausgeglichen, ruhig und verletzungsfrei. Wenn Katzen kämpfen, versucht eine Katze normalerweise zu fliehen, während sie von einer anderen gejagt wird. Es kann zu Fauchen, Knurren oder Urinieren kommen, und Aggressionen können sich durch Ziehen am Fell oder Kratzen äußern.
„Soziale Spannungen zwischen Katzen können unterschwellig sein, wie das Anstarren mit einer sehr subtilen Versteifung der Muskulatur“, erläutert Dr. Pankratz. „Für Menschen ist das oft nur schwer erkennbar.“
Es kann schwierig sein, die Anzeichen echter Aggression bei Katzen zu erkennen. Trotzdem ist es wichtig, in solchen Situationen zu handeln und sie zu entschärfen. Laut Dr. Pankratz haben Katzen nicht viele Möglichkeiten, um soziale Spannungen zu bewältigen. Eine schlechte Beziehung kann schwer zu reparieren sein.
Allogrooming ist eines der Werkzeuge, die Katzen anwenden, um eine Beziehung zu kitten. „Gegenseitige Fellpflege kann nach einem Konflikt auftreten und fungiert als Mittel zur Versöhnung“, so Dr. DelGiudice.
Es ist nicht notwendig, die Katze von Spielkämpfen abzuhalten. Echte Spannungen (auf die in der Regel kein Allogrooming folgt) können entschärft werden, indem du deine Katzen mit Spielzeug oder Futter ablenkst und sie bei Bedarf voneinander trennst.
Zusammenfassung
Allogrooming ist eine gute Sache, schlussfolgert Dale. Wenn du deine Katzen schon einmal dabei beobachtet hast, wie sie sich gegenseitig lecken, haben sie einander wahrscheinlich lieber, als du vielleicht gedacht hättest.
„Katzen betreiben Allogrooming auch bei Menschen“, sagt Dale. Um die Fellpflege zu imitieren und Liebe und Vertrauen auf eine Art und Weise zu vermitteln, die deine Katze wirklich versteht, solltest du sie entweder täglich oder wöchentlich bürsten. Das Katzenhotel und -Spa Cats in the City in Portland, Oregano, weist außerdem darauf hin, dass das Bürsten zu Hause auf lange Sicht Geld sparen kann.
„Die meisten Katzen pflegen ihr Fell in den ersten fünf bis acht Lebensjahren gut. Danach brauchen sie in der Regel zusätzliche Hilfe“, so Dr. Daniel Lioy-Ryan, Ph. D., Katzenpfleger und Mitinhaber von Cats in the City. Wenn in den ersten Lebensjahren keine regelmäßige Pflege stattgefunden hat, ist ein Besuch beim Katzenfriseur ratsam. „Wenn die Fellpflege also zu einer Erfahrung werden soll, die die Bindung zwischen dir und deiner Katze stärkt, solltest du schon früh damit beginnen“, so der Katzenfriseur.