- Dieser Artikel ist kein Ersatz für eine professionelle, tierärztliche Konsultation.
Stell dir Folgendes vor: Du besuchst den Katzenzwinger in deinem örtlichen Tierheim und wirst hinter dem Trenngitter erwartungsvoll von zwei Paar großen blauen Augen angestarrt. Eines gehört einem Kater, das andere einer Katze – beide sind absolut zum Verlieben. Wie aber weißt du, welches Tier am besten zu dir passt? Solltest du eine männliche oder eine weibliche Katze adoptieren? Wie bei so vielen anderen Fragen, können wir dir auch hier leider keine pauschale Antwort geben.
„Die Persönlichkeit einer Katze wird nicht nur durch das Geschlecht bestimmt“, erklärt Joey Lusvardi, zertifizierter Katzenverhaltensberater und Inhaber von Class Act Cats. Anstatt also darüber nachzudenken, ob man besser mit einem Männchen oder Weibchen klarkommt, sollte man versuchen, mehr über das bisherige Leben, das Temperament und die Sozialisation eines potenziellen neuen Mitbewohners herauszufinden. Sofern du nicht gerade vorhast, deine Katze nicht kastrieren oder sterilisieren zu lassen (Experten sagen, dass man das tun sollte), spielt das Geschlecht möglicherweise eine geringere Rolle, als du vielleicht erwartest.
In diesem Artikel werden wir uns ansehen, was männliche und weibliche Katzen voneinander unterscheidet – und was sie gemeinsam haben. Entspricht deine Katze diesen sechs gängigen Katzenstereotypen?
Männliche vs. weibliche Katzen: Verhalten und Persönlichkeitsmerkmale
Wenn du eine Katze adoptieren möchtest, hast du wahrscheinlich schon eine Wunschliste mit Persönlichkeitsmerkmalen im Kopf, die dein neuer Mitbewohner haben sollte – vielleicht möchtest du eine Schoßkatze, die gerne kuschelt, oder vielleicht soll dein Kätzchen sehr aktiv sein. Doch wie wichtig ist das Geschlecht einer Katze? Sollte man Geschlechterstereotypen Glauben schenken? Wir haben Lusvardi und einige Wissenschaftler gebeten, mit uns gemeinsam diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
1. Kater wollen mehr Zeit im Freien verbringen
Das stimmt – aber nur, wenn der Kater nicht kastriert wurde. Wenn ein nicht kastrierter Kater eine weibliche Katze in seiner Nähe wahrnimmt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er nach draußen geht, um sich seine Artgenossin etwas genauer anzusehen. Sobald er draußen ist, kann er auf der Suche nach diesem Weibchen (oder zum Beispiel auch nach Futter) kilometerweit laufen. Männliche Katzen haben ein fast dreimal größeres Außenrevier als weibliche Katzen.
Diese Informationen mögen zwar hilfreich sein, wenn dein Kater vermisst wird, doch sie geben dir nicht wirklich Aufschluss darüber, ob ein Kater oder eine Katze ein besserer Begleiter für dich wäre. Lässt man den Faktor Fortpflanzung außen vor, basiert die Tendenz von Katzen, Abenteuer außerhalb ihres Zuhauses zu suchen, mehr auf der individuellen Lebensgeschichte und den jeweiligen Erfahrungen als auf ihrem Geschlecht.
2. Weibliche Katzen sind aggressiver
Nicht sterilisierte weibliche Katzen sind tatsächlich aggressiver als sterilisierte weibliche Katzen und kastrierte Kater. Allerdings ergab eine Studie unter 60 Haushalten, in denen zwei Kater, zwei Katzen oder ein Kater und eine Katze leben – alle sterilisiert/kastriert –, dass es zwischen den Geschlechtern keine Unterschiede bezüglich der Aggressivität gibt.
„Man kann nicht pauschal sagen, dass weibliche Katzen gegenüber Menschen aggressiver sind“, mahnt Lusvardi. Es gibt tatsächlich eine lange Liste von Faktoren, die die Aggressivität von Katzen beeinflussen:
- Ob die Katze kastriert oder sterilisiert ist
- Ob die Katze in einem Ein- oder Mehrkatzenhaushalt lebt
- Tierrasse
- Genetik
- Sozialisierung
- Alter
- Gesundheitliche Beschwerden
- Ob der Katze die Krallen entfernt wurden
- Ob die Katze in einer bereichernden Umgebung lebt
3. Kater kuscheln lieber als Katzen
Eine telefonische Befragung unter 80 Tierärzten ergab, dass dieses Stereotyp tatsächlich wahr ist. Des Weiteren waren sich die Experten einig, dass Ragdoll-Katzen unabhängig vom Geschlecht die anhänglichste und am wenigsten aggressive Katzenrasse sind. Katzen aus Einkatzenhaushalten wurden als aggressiver und weniger liebevoll als Katzen aus Mehrkatzenhaushalten eingeschätzt und Kätzchen als die anhänglichste Altersgruppe von allen.
Allerdings mahnt Lusvardi uns, keine übereiligen Schlüsse zu ziehen.
„Da ich schon mit sehr vielen Katzen gearbeitet habe, weiß ich, dass es da draußen sowohl jede Menge liebevolle weibliche Katzen als auch sehr kratzbürstige Kater gibt“, verrät er uns. Außerdem hatte er auch schon öfter mit Ragdoll-Katzen zu tun, denen er bei Aggressionsproblemen helfen musste.
4. Kater sind verspielter
Einige Katzenbesitzer berichten, dass ihre Kater aktiver sind als ihre Katzen. Lusvardi zufolge sind hohe Energielevel jedoch auch bei weiblichen Katzen keine Seltenheit. „Die meisten Katzen brauchen mehr Stimulation, als sie tatsächlich bekommen“, bedauert er. „Das ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt.“ Wenn du lieber mit einer entspannten Katze zusammenleben möchtest, solltest du in Betracht ziehen, kein Kätzchen, sondern eher eine ältere Katze zu adoptieren.
5. Kater markieren öfter ihr Revier
„Wenn wir vom Harnmarkieren sprechen, denkt man zwar häufig direkt an unkastrierte Kater, doch das Verhalten lässt sich durchaus auch bei nicht sterilisierten läufigen Katzen beobachten“, erzählt uns Lusvardi. Nichtsdestotrotz markieren nicht kastrierte Kater seiner Erfahrung nach tatsächlich viel häufiger ihr Revier mit Urin als nicht sterilisierte Katzen. Läufige Katzen, so erklärt er uns, markieren ihr Territorium zusätzlich dadurch, dass sie sich an Gegenständen und Menschen reiben, um daran Pheromone für Kater zu hinterlassen.
6. Weibliche Katzen sind unabhängiger
Ob dieses Stereotyp der Wahrheit entspricht, hängt von der Definition von „unabhängig“ ab. Eine Studie ergab, dass sterilisierte Katzen anspruchsvoller sind als Kater. Anspruchsvoll wird laut der Studie definiert als „beharrlich, fordernd, bedürftig und laut“.
Ob männliche oder weibliche Katzen eher eine Bindung zu ihren Besitzern aufbauen, ist schwer zu sagen – die Studie fand diesbezüglich jedenfalls keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Stattdessen kam man zu dem Schluss, dass ältere Tiere sowie Tiere in Mehrkatzenhaushalten freundlicher sind.
Fazit
Lusvardi zufolge kann das Geschlecht zwar durchaus einen Einfluss auf die Persönlichkeit einer Katze haben, doch es ist bei Weitem nicht der einzige ausschlaggebende Faktor. Da also mehrere Aspekte das Verhalten einer Katze beeinflussen, nehmen bei Tieren, die kastriert oder sterilisiert wurden, andere Faktoren einen größeren Einfluss auf die Persönlichkeit. „Wenn du nur auf das Geschlecht der Katze achtest, wirst du wahrscheinlich viele wunderbare Katzen außer Acht lassen, die gut zu deiner Familie passen würden“, fügt er hinzu.
Männliche vs. weibliche Katzen: Aussehen und Größe
Denkst du, dass du den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Katzen am Aussehen erkennst? Falls nicht, werden dir die folgenden Tipps vielleicht helfen.
Aussehen | Männlich | Weiblich |
Genitalien | Hoden und Penis. Der Penis eines Katers ist sichtbar als kleiner runder Punkt – der weiter entfernt vom Anus liegt als die Vulva bei Katzen – mit den Hoden dazwischen. | Die Vulva (ein vertikaler Schlitz) befindet sich direkt unterhalb des Anus. |
Größe und Gewicht | Größer, aber abhängig von der Rasse | Kleiner, aber abhängig von der Rasse |
Gesicht | Große, runde Wangen, wenn unkastriert oder später im Leben kastriert | Weibliche Katzen haben oft einen schmaleren, runderen Kopf und einen weniger hervorstehenden Kiefer. |
Körper | Größer und muskulöser als weibliche Katzen, insbesondere im Schulter- und Nackenbereich | Kleiner und schlanker |
Fellfarbe | Orangefarbene Katzen sind häufig männlich, aber nicht immer. | Katzen mit Calico- oder Schildpatt-Muster sind häufig weiblich, aber nicht immer. |
Gesundheitliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Katzen
1. Weibliche Katzen haben ein höheres Risiko für Brusttumoren.
Ungefähr ein Drittel der bösartigen Tumorerkrankungen bei Katzen betreffen die Brustdrüsen, weshalb Brustdrüsentumoren zu den häufigsten Tumorarten bei dieser Tierart gehören. Obwohl sowohl weibliche als auch männliche Katzen Brustwarzen haben, sind Brusttumoren bei Katern eher selten (etwa 5 % der gemeldeten Fälle). Dr. Faye Forsythe, DVM, Tierärztin bei Royal Veterinary Care, erklärt, dass nicht sterilisierte weibliche Kurzhaarkatzen und Siamkatzen im Alter zwischen 10 und 12 Jahren am häufigsten Brusttumoren entwickeln.
2. Bei männlichen Katzen besteht ein höheres Risiko für Harnwegsobstruktionen.
Kater haben eine längere und schmalere Harnröhre als Katzen. Das bedeutet, dass die Röhre, die mit der Blase verbunden ist und den Urin aus dem Körper abtransportiert, anfälliger für Verstopfungen durch Eiweiß, Steine oder Schwellungen ist als bei weiblichen Katzen.
Harnverstopfungen sind immer ein medizinischer Notfall. Sie können innerhalb von zwei bis drei Tagen zum Nierenversagen und unbehandelt sogar zum Tod führen.
3. Kater sind möglicherweise anfälliger für Fettleibigkeit.
Viele Katzenbesitzer fragen sich, wie sehr sie das Gewicht ihres Tieres kontrollieren müssen. Eine Studie zeigt, dass männliche Katzen anfälliger für eine Gewichtszunahme sind als weibliche Katzen. Laut Mitarbeitern der Cummings School of Veterinary Medicine der Tuft University sind darüber hinaus sowohl männliche als auch weibliche Katzen nach einer Kastration oder Sterilisation anfällig für eine Gewichtszunahme. Da viele Katzen übergewichtig oder fettleibig sind, fragst du am besten deinen Tierarzt, welches Gewicht für deine Katze ideal ist und wie viele Kalorien sie zu sich nehmen sollte.
Können Kater und Katzen in einem Haushalt zusammenleben?
Man kann nicht pauschal sagen, ob eine bestimmte Kombination von Katzen gut miteinander auskommt oder nicht. Einige Paarungen stehen jedoch im Ruf, ein problematisches Verhältnis zueinander zu haben. Wie friedlich ein Haushalt im Endeffekt ist, hängt allerdings eher davon ab, ob es dort ausreichend Ressourcen (Katzenbäume, Kratzbäume, Spielzeug und Betten) gibt und ob die Katzen einander richtig vorgestellt wurden.
Nichtsdestotrotz entstehen die meisten Konflikte in Mehrkatzenhaushalten, wenn zwei nicht verwandte Tiere gleichen Geschlechts zusammenleben. Will man also auf Nummer sicher gehen, empfiehlt Lusvardi, sollte man zwei Katzen aus derselben Familie adoptieren oder einen Kater und eine Katze aus unterschiedlichen Familien.
Checkliste: Das solltest du bei der Adoption einer Katze oder eines Kätzchens fragen
Damit du auf der Suche nach der richtigen Katze (oder den richtigen Katzen) genau weißt, worauf du achten solltest, kannst du bei deinem nächsten Besuch im Tierheim oder bei einem seriösen Züchter die folgende Checkliste mit Fragen mitnehmen:
Sozialisierung:
- Hat diese Katze schon einmal mit anderen Katzen zusammengelebt?
- Hat sie schon einmal mit Hunden, Kindern oder anderen Haushaltsmitgliedern, mit denen sie in deinem Zuhause in Kontakt kommen wird, zusammengelebt?
- Falls ja, wie spielt oder interagiert sie normalerweise mit diesen?
- Wie reagiert sie auf Streicheleinheiten oder darauf, wenn man sie hochhebt bzw. trägt?
- Ist es für sie okay, wenn ein Mensch sie berührt?
- Faucht oder knurrt sie andere Tiere oder Menschen an oder schlägt sie nach ihnen?
Energieniveau:
- Wie hoch ist ihr Energieniveau?
- Ist sie eher aktiv oder entspannt?
Katzenpaare, die bereits eine Beziehung zueinander aufgebaut haben (falls zutreffend):
- Wie wurde festgestellt, dass die Katzen eine Bindung haben?
- Hat man sie dabei beobachtet, dass sie Zeit miteinander verbringen, auch wenn keine Vertrauensperson in der Nähe ist oder wenn es keine wertvolle Ressource wie Essen, einen gemütlichen Ruheplatz oder etwas anderes gibt, das sie beide nutzen möchten?
- Sind die Katzen Geschwister?
Bedenkliche Verhaltensmuster:
- Hat die Katze bekannte Verhaltensprobleme oder irgendwelche besonderen Bedürfnisse?
- Benutzt sie problemlos die Katzentoilette?
Bisheriges Leben:
- Was ist über das bisherige Leben der Katze bekannt?
- Gibt es relevante Informationen zu ihrem Hintergrund oder früheren Erfahrungen?
- Wie ging es der Mutter dieser Katze während der Schwangerschaft?
Krankengeschichte:
- Hat die Katze bekannte gesundheitliche (möglicherweise anhaltende) Probleme?
Sterilisation/Kastration:
- Wurde die Katze bereits sterilisiert/kastriert?
- Wird sie vor der Adoption sterilisiert/kastriert?
Besondere Eigenschaften oder Vorlieben:
- Wenn dein neuer Mitbewohner eine bestimmte Eigenschaft haben soll, solltest du unbedingt danach fragen.
So erkennst du, welche Katze am besten zu dir passt
Welche Katze am besten zu dir passt, hängt vor allem von deinen Vorlieben und den bisherigen Lebenserfahrungen der Katze ab – nicht so sehr von ihrem Geschlecht. „Das Geschlecht einer Katze kann dir Aufschluss über ihre Persönlichkeit geben, doch es ist bei Weitem nicht der einzige entscheidende Faktor“, erklärt Lusvardi.
Wenn du Bedenken hast, dass dein neuer Mitbewohner mit anderen nicht sterilisierten bzw. kastrierten Katzen in der Nachbarschaft interagieren könnte, ist die beste und einfachste Lösung, das Tier kastrieren oder sterilisieren zu lassen. Dadurch beugst du nicht nur unerwünschtem Verhalten wie Harnmarkieren, Jaulen und Streunen vor, sondern die Katze ist danach auch weniger aggressiv und trägt ein geringeres Risiko, an gewissen Leiden zu erkranken.
„Wenn Katzen kastriert oder sterilisiert wurden, können Tiere beider Geschlechter wunderbare Begleiter sein“, fügt Lusvardi hinzu. „Letztendlich ist der beste Mitbewohner für dich eine Katze, die zu deiner Persönlichkeit passt – das heißt, dass sie ein ähnliches Aktivitätsniveau hat, ähnlich viel Zuneigung braucht und gibt, ähnlich gesellig ist und andere spezifische Eigenschaften oder Bedürfnisse deinerseits erfüllt.“