- Dieser Artikel ist kein Ersatz für eine professionelle, tierärztliche Konsultation.
Ohne Frage haben Hunde eine gewaltige Persönlichkeit, aber was halten sie eigentlich von sich selbst? Besitzen Hunde so etwas wie Selbstwahrnehmung? Und wenn ja, woher wüssten wir das?
Eine gängige Bewertung der Selbstwahrnehmung ist der Spiegeltest. Wenn ein menschliches Kleinkind sich selbst im Spiegel erkennt, gilt dies in der Regel als erstes Anzeichen der Selbstwahrnehmung. Auch Hunde reagieren oft auf Spiegelbilder, wobei man jedoch nicht weiß, ob sie verstehen, dass sie sich selbst dabei sehen.
Der allgemeine Konsens? „Ich denke nicht, dass Hunde zu 100 % über eine Selbstwahrnehmung verfügen, aber zu einem gewissen Anteil wird das schon so sein,“ sagt Dr. Wailani Sung, Tierärztin und Leiterin der Verhaltens- und Tierschutzprogramme am San Francisco SPCA. Ihrer Meinung nach hat das Thema Selbstwahrnehmung einige Grauzonen.
In diesem Artikel beschäftigen wir uns damit, wie die Selbstwahrnehmung von Hunden erforscht wird, und erfahren von Tierärztin und Verhaltensforschern mehr über die bisherigen Erkenntnisse.
Das Testen der Selbstwahrnehmung bei Hunden
Leider ist es unmöglich zu beweisen, ob Hunde über etwas wie Selbstwahrnehmung verfügen, da wir sie nicht einfach danach fragen können. Es gibt jedoch gute Nachrichten, denn Wissenschaftler haben verschiedene Tests entwickelt, um die Selbstwahrnehmung bei Tieren zu bewerten. Die Ergebnisse sind zwar nicht beweiskräftig, wir konnten allerdings viel daraus lernen.
So haben Forscher bisher versucht, die Selbstwahrnehmung bei Hunden zu testen.
Hunde fallen bei visuellen Wahrnehmungstests durch
Der Spiegeltest (EN) wurde in den 1970er Jahren entwickelt und soll die visuelle Selbsterkennung verschiedener Tierarten messen. Forscher kennzeichnen den Körper eines Tieres, während es nicht bei Bewusstsein ist, und legen es zum Aufwachen vor einen Spiegel. Wenn das Tier die Markierung berührt, gilt dies als Zeichen der Selbstwahrnehmung, da es versteht, dass es sich beim Spiegelbild um das eigene Abbild handelt.
Es gibt nicht viele Tierarten, die den Spiegeltest bestehen (EN), und Hunde gehören definitiv nicht dazu. Anstatt auf die Markierung auf dem eigenen Körper zu reagieren, führen sich Hunde oftmals eher so auf, als würde es sich bei ihrem Spiegelbild um einen anderen Hund handeln. Sie bellen meistens oder versuchen, mit ihrem Gegenüber zu spielen. Manche untersuchen den Spiegel an sich, bevor sie das Interesse verlieren. (Sie sind also eher schlecht darin, Bilder zu erkennen.)
Einige Experten halten den Spiegeltest für zu einschränkend, wenn man bedenkt, dass die meisten Hunderassen sich nicht auf ihr Sehvermögen als Hauptsinn verlassen. Andere sind der Meinung, dass Tiere vielleicht die Selbstwahrnehmung anders erleben (EN) als wir Menschen.
Hunde bestehen Geruchswahrnehmungstests
Hunde verlassen sich auf ihren Geruchssinn, um in der Welt klarzukommen. Um dem natürlichen Hundeverhalten näherzukommen, hat Alexandra Horowitz eine Geruchsalternative zum Spiegeltest (EN) entwickelt. Dabei werden Hunde mit Kanistern mit ihrem eigenen Urin und mit dem anderer Hunde konfrontiert. Die Testhunde verbrachten deutlich mehr Zeit damit, den Duft des fremden Hundes zu untersuchen.
Forscher schlussfolgerten aus den Ergebnissen der Horowitz Studie, dass Hunde zwischen ihrem eigenen Geruch und dem fremder Hunde unterscheiden können. Es ist jedoch umstritten, ob diese Ergebnisse bedeuten, dass Hunde über Selbstwahrnehmung verfügen (EN). Manche Experten sind der Meinung, dass Hunde ihren Geruch als Markierung von Eigentum und nicht als Erweiterung ihres Körpers oder Selbstdarstellung wahrnehmen.
Hunde bestehen Körperwahrnehmungstests
Das Körperbewusstsein, auch Propriozeption (EN) genannt, ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Vergleich zur Umwelt. In einer Studie aus dem Jahr 2021 wurde das Körperbewusstsein von Hunden (EN) dadurch getestet, dass man die Hunde auf eine Bodenmatte setzte, ihnen dann befahl, ein verknotetes Seil aufzuheben und zu ihrem Besitzer zu bringen.
In der Kontrollgruppe war das Seilspielzeug am Boden befestigt und konnte nicht bewegt werden. In der Testgruppe war es an der Unterseite der Matte befestigt, wurde also nur vom Körpergewicht des Hundes festgehalten. Hunde in der Testgruppe verließen die Matte häufiger, um die Aufgabe zu erledigen, und zeigten damit, dass sie ihren Körper als separates Objekt im Vergleich zu ihrer Umwelt wahrnehmen.
Eine Studie aus dem Jahr 2023 probierte einen ähnlichen Test aus, um das Körperbewusstsein von Hunden zu bewerten (EN). Die Hunde wurden gebeten, sich von der anderen Seite eines durchsichtigen Zaunes ein Leckerli zu holen. Sie hatten die Möglichkeit, um den Zaun herumzugehen, oder ein Tor im Zaun zu benutzen. Die Hunde entschieden sich meist dafür, um den Zaun herumzugehen, wenn das Tor für sie zu klein war. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Hunde sich der Größe und Grenzen ihres Körpers bewusst sind.
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Hunde bestehen emotionale Wahrnehmungstests
Die obigen Studien demonstrieren die Fähigkeit von Hunden, sich selbst von anderen und ihrer Umwelt zu unterscheiden. Hierbei spricht man von „situativer Selbstwahrnehmung (EN)“. Ob Hunde aber eine innere Selbstwahrnehmung haben, ist nur schwer zu beurteilen.
Es gibt wenige Untersuchungen zu emotionalen Fähigkeiten von Hunden (EN), aber in mehreren Studien zeigten Hunde an Empathie erinnerndes Verhalten gegenüber Menschen (EN) und Hunden in Bedrängnis (EN). Für Empathie benötigt man die Selbstwahrnehmung, dies könnte also ein ziemlich gutes Anzeichen dafür sein, dass sich Hunde selbst wahrnehmen.
Allerdings handelt es sich bei Empathie um ein menschliches Konzept. Manche Experten meinen, es sei ein Irrtum, anzunehmen, dass Hunde Emotionen so erleben und zeigen, wie wir Menschen dies tun.
Offensichtliche Anzeichen für Selbstwahrnehmung beim Hund
Beweise sind das eine, Beobachtungen das andere. Als Hundebesitzer gibt es viele Möglichkeiten, um Anzeichen der Selbstwahrnehmung bei seinem Tier zu beobachten. Darauf könntest du achten.
Größenerkennung
Im Alltag fallen dir vielleicht Anzeichen dafür auf, dass dein Hund seine Körpergröße wahrnimmt, während er sich durch die Welt bewegt. Vielleicht schlüpft er durch eine Lücke, die gerade groß genug für seinen Körper ist. Oder er benutzt einen Stuhl, um auf den Tisch zu gelangen, wenn dort eine Köstlichkeit außerhalb seiner Reichweite liegt.
Wenn du einen kleinen oder Zwerghund hast, fällt dir vielleicht eine Art Napoleonkomplex bei ihm auf. Wie bei Menschen bezieht sich dieser Begriff auf ein Verhalten, bei dem kleine Hunde sich manchmal versuchen, größer (oder stärker) zu machen, als sie es eigentlich sind. Rüden wurden sogar dabei beobachtet, ihre Beine höher anzuheben (EN), wenn sie auf einen Gegenstand urinierten, um so den Eindruck zu hinterlassen, sie wären größer als in der Realität.
Instinktives Rasseverhalten
Leigh Siegfried, zertifizierte Hundetrainerin und Gründerin von Opportunity Barks, ordnet Selbstwahrnehmung als menschliches Konstrukt ein, das man so nicht direkt auf Hunde übertragen kann. Sie ist jedoch der Meinung, dass man so etwas Ähnliches wie Selbstwahrnehmung bei „Hunden erkennen kann, die sich mit Dingen beschäftigen, die ihrer genetischen Neigung nahe kommen.“
Hunde, die für bestimmte Zwecke gezüchtet wurden, scheinen oftmals ein angeborenes Verständnis für ihre Fähigkeiten zu haben, und können gar nicht anders, als ihren Instinkten zu folgen. Zum Beispiel Hüterassen wie Border Collies und Corgis. Sie sind für ihr Hütehundverhalten bekannt, das sie anderen Haustieren und sogar ihren menschlichen Familienmitgliedern gegenüber an den Tag legen.
Menschliche Interaktion
Die Tatsache, dass dein Hund weiß, dass du kein Hund bist und dass er kein Mensch ist, ist bereits eine Art Beweis für seine Selbstwahrnehmung.
„Hunde interagieren mit und reagieren auf uns Menschen anders als auf Hunde,“ erklärt Dr. Sung. So blicken sich Hunde beispielsweise in der Regel nicht direkt in die Augen, es sei denn um ihre Dominanz durchzusetzen. Es kann aber sein, dass dein Hund versteht, dass der Augenkontakt mit dir etwas anderes bedeutet, weshalb er eher dazu bereit ist, dich länger und liebevoll anzuschauen.
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Trainingshinweise verwenden
Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Hunde der menschlichen Art der Kommunikation anpassen, sind Hunde, die lernen, Sprachknöpfe zu benutzen. Vielleicht kennst du Videos von Hunden, die Spielzeug oder Leckerli per Knopfdruck anfordern. Hier ist natürliche eine gewisse Form von Training im Spiel. Aber ein solches Verhalten zeigt auch, dass sich Hunde ihrer eigenen Bedürfnisse bewusst sind, und wissen, wie diese erfüllt werden können.
Namenserkennung
Du kannst einem Hund beibringen, mit der richtigen Motivation so ziemlich alles zu tun, aber es gibt Unterschiede zwischen einer antrainierten Reaktion und wahrem Erkennen. Die meisten Hunde lernen, ihre eigenen Namen zu erkennen, und wissen somit, ob sie oder ein anderer Hund gerufen werden. Dr. Sung ist der Meinung, dass schon Welpen im Alter von acht Wochen ihren eigenen Namen kennen können.
Gedächtnis
Experten glauben, dass das Gedächtnis eines Hundes eher einem Netz aus Assoziationen gleicht als einer Erinnerung an bestimmte Details. Dein Hund erinnert sich vielleicht nicht mehr explizit an den Tag, an dem das Nachbarskind ihn am Schwanz gezogen hat, aber dafür reagiert er ängstlich in Gegenwart von Kindern oder meidet diese eher.
Es ist umstritten, welch ein starkes Bewusstsein Hunde in Bezug auf ihre eigenen Emotionen haben, doch Gefühle sind eine der Hauptkomponenten der Selbstwahrnehmung, vor allem wenn diese zu Verhaltensänderungen führen.
Ist die Selbstwahrnehmung ein Zeichen für Intelligenz?
Wenn Hunde also zumindest teilweise eine Art Selbstwahrnehmung besitzen, was sagt das über ihre Intelligenz aus?
Intelligenz ist schwer zu bemessen, da sich das Gehirn des Hundes von dem der Menschen unterscheidet. Es werden aber zum Teil die gleichen Metriken angewendet, um Intelligenz und Selbstwahrnehmung zu beurteilen. Hunde zeigen in mancherlei Hinsicht sogar ein stärkeres Bewusstsein als Menschen.
Man bedenke nur, dass Hunde die ersten bekannten Tiere waren, die domestiziert (EN) wurden. Hunde verfügen über eine starke soziale Intelligenz: Die Fähigkeit, Körpersprache zu lesen und auf Zeichen zu reagieren, von denen wir Menschen nicht einmal wissen, dass wir sie abgeben. Sie sind außerdem effektive Problemlöser und können ihre individuellen Erfahrungen, Kompetenzen und Kenntnisse optimal einsetzen, um ans Ziel zu gelangen.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Kommunikation unter Hunden extrem entwickelt ist. Sie erfordert ein ausgeprägtes Bewusstsein für Details wie Körperhaltung, Bewegungen des Schwanzes und Ohrenstellung. Es kann sein, dass dein Hund auf seine Art intelligenter ist, als einige Menschen, die du kennst!